Operation

1/6

Mein künftiger Operateur, meine Frau, unsere Tochter, einer meiner Söhne und ich sitzen in einem winzigen, fensterlosen Raum.
Interesse heuchelnd, starre ich, wie alle anderen auch, auf ein hell leuchtendes Röntgenbild meines Gehirns. Die Frage, wie man das Teil auspackt, beschäftigt mich seit Stunden mehr als alles andere.
“Das ist einfach.”
Er sagt tatsächlich “einfach”!
“Zuerst klappen wir die Kopfhaut auseinander, dann bohren wir Ihnen drei Löcher in die Schädeldecke, die wir anschließend miteinander verbinden. Aber keine Sorge, der Bohrer hört von allein auf, wenn wir durch die Schädeldecke durch sind!”
Er lacht kurz auf, und auch ich finde das komisch.
“Besser ist das!”, sage ich deshalb und meine das auch so.
“Na ja, und wenn wir dann Ihren Schädel von Bohrung zu Bohrung durchgesägt haben, können wir dieses Knochendreieck ganz einfach herausnehmen.”
Weil er völlig entspannt ist, bin ich es auch. Hätte er mir erklärt, dass man eine Büchse erst öffnen muss, bevor man an das Katzenfutter kommt, hätte seine Stimme vermutlich nicht anders geklungen.

Werkstattgespräch

2/6

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass dieser Teil der OP ihn eher langweilt. Mich nicht. Nur werde ich ja auch nicht bohren und sägen müssen.
Ich fühle mich wie der Kunde einer Werkstatt, der sein Auto abgibt, um den Motor wechseln zu lassen. Wird sicher viel Arbeit! Aber nicht für mich.
“Davon merken Sie ohnehin nichts. Wir legen Sie morgen früh schlafen, und wenn Sie wieder aufwachen, ist alles erledigt.”
Meine Tochter schaltet sich ein, und ich denke, mich zu verhören, als sie ihre Frage stellt
“In Kiel soll es einen Operationssaal geben, in dem der Patient während der OP ins MRT geschoben werden kann, um zu kontrollieren, ob der gesamte Tumor entfernt wurde. Können Sie das hier auch machen?”
“Nein, das können wir hier nicht. So tolle Bedingungen haben wir hier nicht.”
Was ich in diesem Moment irgendwie schade finde. Aber was sagt er da gerade?
“Allerdings können wir Folgendes machen: Wir operieren komplett fertig, machen den Kopf wieder zu und fahren Ihren Vater ins MRT. Das geht ein wenig über den Flur, aber die Wunde ist dann ja wieder zu. Und wenn wir dann im MRT etwas finden, das wir noch entfernen wollen, dann gehen wir eben wieder zurück in den OP und machen wieder auf. Das ist völlig unproblematisch, zumal wir hier noch richtige Nähte machen!‘
So, wie er das sagt, klingt es wie das Ändern einer Hose.
Ich will nicht in Kiel operiert werden!
Ich will, frisch operiert, über den Flur gekarrt werden!
Ich will, dass er mir den Kopf aufsägt!

Glatze

3/6

Noch eine Nacht, dann werden mir Löcher in den Schädel gebohrt.
Ich stehe vor dem Spiegel am Waschbecken meines Zimmers, und mir wird plötzlich klar, dass man mir zuvor die Haare abschneiden wird. Daran hatte ich bislang keinen Gedanken verschwendet.
Ohne jede Eile, aber mit aller Konsequenz, beginne ich damit, mir mit dem Langhaarschneider meines Elektrorasierers den Kopf kahl zu rasieren.
Ich lasse das Schneidwerk von der Stirn zum Hinterkopf wandern. Wie die Schauspielerin Demi Moore in ihrer Rolle als Elitesoldatin nehme ich mir meine Würde, bevor es andere tun.
Dabei sehe ich kaum, was ich tue. Am Hinterkopf bin ich ohnehin auf meinen Tastsinn angewiesen.
Wenn der Rasierer in meinem Sichtfeld ist, sind meine Augen zu nass, um etwas zu sehen zu können.
Am Ende ist das Waschbecken voller Haare, und ich weine allein und kahl rasiert in mein Spiegelbild
Noch während ich das tue, spüre ich, wie ich mich nicht nur äußerlich verändert habe. Hier und jetzt beginnt mein Kampf gegen den Tumor! Gemessen an meinem martialischen Aussehen, stehen seine Chancen schlecht!

SMS

4/6

Mein Telefon gibt einen Ton von sich, den ich nicht kenne. Ein Symbol bei „Nachrichten“ signalisiert, dass ich eine SMS erhalten habe. Das wundert mich. Obwohl moderne Kommunikationsmittel mich durchaus interessieren, ist die Ära der SMS ungenutzt an mir vorbeigegangen. Als ich aufhöre, zu telefonieren, beginne ich, E-Mails zu schreiben. Es ist der Abend vor meiner Operation, ich liege in meinem Bett und habe Angst vor dem Kommenden. „Kann ich Dich anrufen?“ Ich kenne die Rufnummer auf dem Display nicht und brauche Minuten, bis die Antwort formuliert, eingetippt und abgeschickt ist. „Ja“. Das Telefon klingelt. „Wir sehen uns in der Hölle.“ Sie ist eine Jugendliebe, Mutter einer meiner Söhne, und weint, während sie es sagt. Ich lege auf. Die Hölle. Bis eben vergessen, statte ich ihr in dieser Nacht einen Besuch ab.

Klinikrundfahrt

5/6

An den Tag der Operation habe ich nur zwei Erinnerungen. Eine davon ist eine nicht enden wollende Fahrt in meinem Bett. Die Oberschwester persönlich karrt mich scheinbar quer durchs Klinikum zur OP. Ich fühle mich geschmeichelt und vergesse kurz, dass ich diese Frau eigentlich nicht leiden kann. Menschen, die mich in meinem Bett durch lange Flure schieben, haben jedenfalls meine Sympathie. Einige Tage später werde ich erfahren, dass sie möglichst jeden Patienten persönlich zur OP schiebt. In dieser Zeit muss sie kein Frühstück verteilen, muss sie keine Schieber reinigen, kann den anderen die Stationsarbeit überlassen. Aber, wie schon gesagt, an diesem Morgen fühle ich mich geschmeichelt und mache vorerst meinen Frieden mit ihr.

Blackout

6/6

Die OP-Vorbereitung selbst findet dann in einem Saal mit den gefühlten Maßen einer Turnhalle statt. Ein, zwei weiße Gestalten begrüßen mich kurz, nehmen sich Teile meines Körpers, Handgelenk und Fußgelenk zuerst, und stechen hinein. Da sie wenig später weit größere Dinge in mich einführen werden, gebe ich mich möglichst gelassen.
Jetzt schon in Panik zu verfallen, erscheint mir verfrüht. Dass ich schon Sekunden später keine Gelegenheit mehr dazu haben werde, ist mir nicht klar.
So, wie man ein Licht ausschaltet, so endet von einer Sekunde auf die andere meine Erinnerung. Das Letzte, von dem ich noch weiß, ist ein brennender Schmerz in meinem rechten Handrücken.
„Na, das tut aber ganz schön weh!“, denke ich. „Möchten Sie Ihre Familie sehen?“ Was ist los? Was wird er? „Nein!“ Warum sollte ich jetzt, kurz vor meiner OP, noch meine Familie sehen wollen? “Warum nicht? Habe ich sie richtig verstanden, sie möchten Ihre Frau nicht sehen?“ Wer ist er? Warum fragt er mich das jetzt? “Warum wollen Sie Ihre Frau nicht sehen?” „Wegen der Psychohygiene“, antworte ich. Was ich denke: Nun lass uns doch erst einmal operieren, dann können sie mich doch immer noch besuchen! „Sind Sie wach? Ihre Frau ist hier!“ Stopp! Ich habe die OP schon hinter mir!? Ich öffne vorsichtig die Augen … und sehe in das Gesicht meines Bedieners! Er lächelt, was ich für ein gutes Zeichen halte. „Können Sie mal den linken Arm heben?“ Ich kann … und schlafe wieder ein. Auf der Intensivstation.

zurück – 03 – weiter